Die Katholische Pfarrei St. Mathilde Quedlinburg

Anregungen und Ideen

2. Weihnachtsfeiertag 2021

von Pfarrer Winfried Runge

Liebe Schwestern und Brüder,

der zweite Weihnachtsfeiertag ist zugleich der Gedenktag des Heiligen Stephanus und bringt uns - mitten hinein in die frohe Weihnachtsstimmung - einen ernsten und irritierenden Ton. Diese Kombination der Feiertagsinhalte macht uns deutlich, was die Theologie immer auch schon betont hat, dass zur Krippe Jesu von Anfang an auch das Kreuz gehört. Und in der Tat finden sich in vielen weihnachtlichen Darstellungen der Ost- wie der Westkirche auch Hinweise darauf. So ist beispielsweise die hölzerne Krippe ein erster Hinweis auf das Kreuzesholz. Die Orthodoxie kennt die Weihnachtsikonen, bei denen die Krippe Jesu eher an einen Sarkophag erinnert, die Binden, mit denen das Baby gewickelt ist, dem Leinentuch sehr ähnelt, in das der verstorbene Leichnam Jesu gewickelt war. In einer Bilderklärung zur „Ottonischen Weihnacht“, der ältesten Weihnachtsdarstellung, die wir kennen, gedeutet von Wilhelm Nyssen, heißt es: „Die Mutter liegt, vom Kind abgewandt, also wie in einer unbegreiflichen Fremdheit vor dem eigenen Kind. Zwischen der Stummheit der Tiere, dem an den Rand gesetzten Josef und der vom Kind abge wandten Mutter ruht wie in einer gänzlich entfremdeten Gebor genheit dieses unfassliche Kind. Was kann diese innerste Aufde ckung von Entfremdung bedeuten? Der entscheidende Darstel lungsinhalt ist gewiss die maßlose Einsamkeit des Kindes...“
Weihnachten, die Menschwerdung Gottes ist in sich schon ein großes Wunder und Geheimnis. Aber fragt man weiter, warum Gott Mensch wird, dann kommt man sehr schnell zu dem, worin sich die Sendung Jesu erfüllt – sein Tod am Kreuz, das Geheimnis von Tod und Auferstehung. So sind die weihnachtlichen Zeichen der Krippe, der Windel, der schützenden Höhle zugleich österli che Zeichen des Sarkophags, der Leinenbinden, der Grabes höhle...

Ich haben heute bewusst ein Evangelium gewählt, dass üblicherweise am 28. Dezember gelesen wird, dem Fest der unschuldigen Kinder, das aber leider immer ein wenig unter den Tisch fällt. Es macht auf seine Weise deutlich, wie ernst die Lage des Jesus-Kindes damals war und erzählt auf seine Weise vom bevorstehenden Kreuz und von der Realität der Verfolgung um des Glaubens willen, die der Stephanus-Tag uns vor Augen stellt.
Die koptischen Kirche Ägyptens, hält die Erinnerung daran wach, was für viele aufgeklärte Christen und Exegeten eher in das Reich der Phantasie verbannt wird, die Stationen, an denen die Hl. Familie auf ihrer Flucht vor Herodes Halt gemacht hat. Die Ägypter deuten die Verfolgung und Flucht der Hl. Familie als Segen für ihr Land – denn sie sind der Grund dafür, dass der Sohn Gottes seine Füße auf ägyptischen Boden gesetzt und dieses Land somit geheiligt hat. Die koptische Kirche erinnert uns ganz lebendig daran, was das Schicksal Jesu ist und bleiben wird und was für eine Fa milie auf der Flucht zählt. Schauen wir uns einfach eine dieser Wegstationen an:

„Fürchte dich nicht, Mutter Maria“
Die Gefahren, denen die Heilige Familie auf der Flucht ausgesetzt ist, werden in den apokryphen Schriften ausführlich beschrieben: Man liest von missgünstigen Einheimischen, von Dieben oder Wegelagerern, ja sogar von Drachen, Löwen und anderen wilden Tieren. Doch die Texte beschreiben auch, wie Gottes Segen die Flüchtlinge schützt. So heißt es beispielsweise im Pseudo-Matthäus:
„Als Maria die wilden Tiere um sich herum sah, hatte sie große Furcht. Das Jesuskind aber schaute ihr mit frohem Blick ins Gesicht und sagte: ‚Fürchte dich nicht, Mutter! Sie eilen nicht herbei, um dir Gewalt anzutun, sondern kommen als Freunde.‘ Durch diese Worte nahm er die Furcht aus ihrem Herzen. Und die Löwen schritten neben ihnen einher und fügten niemandem Leid zu.“

Ägypten erinnert uns auch an die neuen Märtyrer der Gegenwart Im Jahr 2015, in dem Jahr, in dem Deutschland für kurze Zeit seine Tore für Flüchtlinge weit geöffnet hatte, haben Mörder des IS an der Mittelmeerküste Libyens 21 koptischen Arbeitern aus Ägypten brutal die Kehle durchgeschnitten. Das Video von der Bluttat sorgte im Internet weltweit für Entsetzen. Doch es zeigte auch: Die Kopten starben mit dem Namen Jesu auf ihren Lippen.
Der koptische Patriarch Tawadros II. bezeichnet sie als Märtyrer. Sein Vorgänger Shenouda hatte die Haltung eines Märtyrers unter Verweis auf die Heilige Familie so beschrieben:
„Böses sollte nie mit Bösem vergolten werden. Die Heilige Familie hat dem Versuch des Herodes, sie zu töten, nichts entgegenge setzt. Sie ist geflohen. Auch Jesus hat am Kreuz das Böse nicht mit Waffen bekämpft, er hat es vielmehr durch seine Hingabe besiegt. In diesem Sinn haben auch Märtyrer das Böse nie bekämpft, aber sie haben es durch die Treue zu ihrem Glauben besiegt.
Die Geschichte der Heiligen Familie am Nil ist eine, in der Gott Böses in Gutes verwandelt. Er macht den Versuch des Herodes, Jesus zu töten, zum Segen für Ägypten und seine Bewohner. Die Geschichte von dieser Flucht lehrt uns Gottvertrauen!“
Falls Sie also irgendwann einmal eine Reise nach Ägypten planen, dann denken sie bitte nicht nur an die Nilkreuzfahrt oder an die Cheops-Pyramide – vielleicht machen sie auch Halt an einer die ser christlichen Pilgerstätten.
In diesem Jahr stellt die Deutsche Bischofskonferenz in den Mit telpunkt des Gebetstages für die verfolgten Christen das Land Vi etnam. Die Zustände dort erinnern stark an die Erfahrungen, die wir Katholiken zu DDR-Zeiten unter der sozialistischen Herrschaft machen mussten. Die Geschichte Vietnams ist uns sicher in gro ben Zügen bekannt. Missioniert wurde das Land im 17. Jahrhun dert von französischen Missionaren. Bis zu 10% der Bevölkerung nahmen den christlichen Glauben an. Im Laufe der Zeit gab es un ter verschiedenen Königen starke Verfolgungswellen, sodass man von ca. 130.000 Märtyrern spricht, die Vietnam hervorgebracht hat. Der Krieg von 1955 bis 1975 zwischen dem kommunistischen Norden und dem liberalen Süden endete mit der Vereinigung des Landes unter kommunistischer Herrschaft. Da die Kirche während der Kriegszeiten auf der Seite des liberalen Südvietnams stand, war klar, dass der Neustart des Landes für die Kirche nicht leicht werden würde. Um sein Leben muss heute kein vietnamesischer Katholik mehr fürchten. Aber die staatlichen Repressalien besonders in den ländlichen Regionen, erschweren das Leben erheblich.

Liebe Schwestern und Brüder,
die Botschaft und Person des Menschgewordenen Gottessohnes waren und sind nicht immer willkommen – die teilweise heftige Ablehnung und Bekämpfung der frohen Botschaft von einem - alle Menschen - liebenden Gott, hatte es durch die Zeiten der Geschichte hindurch oft schwer. Werden wir nicht müde, diesen Glauben lebendig zu bezeugen. Die Herausforderungen an uns heute sind andere als vor 50 Jahren oder vor 500 Jahren. Aber Mut, Treue und Ausdauer sind nach wie vor gefragt – sich nicht hinzugeben der Gleichgültigkeit, des Zweifels der Selbstgefälligkeit. Lassen wir uns anspornen von jenen, die ihren Glauben nach wie vor mit ihrem Blut besiegeln. Lassen wir uns anspornen vom Beispiel der Heiligen Familie.

Amen.