Die Katholische Pfarrei St. Mathilde Quedlinburg

Anregungen und Ideen

Predigt zum Jahreswechsel 2021/22

von Pfarrer Winfried Runge

Liebe Schwestern und Brüder,

Es ist das Jahr 2022. In New York City leben 40 Millionen Menschen. Es mangelt an Wasser, Nahrung und Wohnraum. Lediglich einige Politiker und reiche Bürger können sich sauberes Wasser und natürliche Lebensmittel zu horrenden Preisen leisten. Der Polizist Robert Thorn und sein älterer Mitbewohner Sol Roth führen dagegen ein trostloses Dasein. Roth kennt noch die Welt mit Tieren und richtiger Nahrung: Gemüse und Fleisch statt „Soylent Rot“ und „Soylent Gelb“. Die Firma Soylent kontrolliert die Lebensmittelversorgung der halben Welt und vertreibt die künstlich hergestellten Nahrungsmittel, die aus Soja und Linsen gewonnen werden.
Das neueste Produkt ist das weitaus schmack- und nahrhaftere „Soylent Grün“, das angeblich aus Plankton hergestellt wird und reißenden Absatz findet. Die grausame Wahrheit allerdings, die im Laufe dieses spannenden Science-Fiction-Films ans Licht kommt ist, dass dieses Produkt aus Menschenfleisch hergestellt wird.
Sie haben es gemerkt, ich habe den Inhalt eines Filmes wiedergegeben, der den deutschen Titel trägt: Jahr 2022 ... die überleben wollen (Originaltitel: Soylent Green). Gedreht wurde dieser Film 1974 – ein Jahr nach Erscheinen des Wachstumsberichtes des Club of Rome, in dem die Grenzen unseres Wirtschaftswachstums aufgezeigt und Prognosen aufgestellt wurden, wie unsere Welt sich verändern wird, wenn wir nicht anfangen, unseren Konsum zu reduzieren, Wachstum und Wohlstand einzuschränken. Eine spannende Einsicht an dieser Geschichte für heute ist, welche katastrophalen Entwicklungen man damals innerhalb von 50 Jahren für möglich gehalten hatte, als Folgen einer exzessiven Nutzung unserer endlicher Ressourcen. Auch wenn sich die Erdbevölkerung inzwischen verdoppelt hat, so hat New York heute keine 40 Millionen Einwohner sondern nur 8 Millionen, wir haben noch richtiges Gemüse und wir kennen auch noch wildlebende Tiere. Die Ängste allerdings, wie schlimm es kommen kann, die sind bis heute geblieben und berechtigt. Gut, nun könnte man sagen: Die Filmindustrie hat hier übertrieben, um die Menschen mittels geschürter Angst dazu zu bewegen, ihr Verhalten zu ändern – nach dem Motto: es ist 5 vor Zwölf. Aber heute, so müssen wir leider feststellen, wissen wir, dass solche Horrorszenarien kaum etwas bewirken. Selbst wenn man heute offiziell davon spricht, dass es schon 10 nach Zwölf ist. Sind wir wirklich bereit, unser Leben zu ändern? Wird die neu gewählte Ampelkoalition ihr Versprechen einlösen, wirklich dafür zu sorgen, dass die gesteckten Klimaziele umgesetzt werden, dass Europa bis 2050 klimaneutral wird? Die CDU/CSU-Regierung hat es nicht geschafft. Vielleicht wurde sie dafür auch abgewählt. Schafft es die neue Regierung? Diesmal mit Christian Lindner, der, wie der satirische Jahresrückblick witzelte, Elitenpartner für Grüne und Linke mit Niveau! Wir werden es sehen. Oder, man könnte auch fragen: Hat uns Corona irgendetwas gelehrt? Vielleicht, dass dieser Virus mit seinen immer neuen Mutationen Folge unserer massiven Eingriffe in die Natur ist, der Zerstörung des Lebensraumes der wildlebenden Tierwelt und dass man nicht jeden Rückschlag, mit dem Mutter Natur auf unsere Eingriffe reagiert, mit immer neuen Impfungen und Medikamenten beikommen kann? Der Blick zurück in das Jahr 2021, der Blick zurück auf die eigenen Ziele, die ich mir gestellt hatte, der Blick zurück auf Gesellschaft und Kirche macht deutlich: Es war nicht genug. Die Änderungen waren nicht radikal genug. Vielleicht liegt es daran, dass wir, wie der Grünenpolitiker Robert Habeck meint, einfach menschliche Mängel haben, dass wir einfach zu träge sind. Und, um an dieser Stelle etwas zu ändern, lädt uns das neue Jahr mit seinen neuen Möglichkeiten, seiner Hoffnung, seiner Zuversicht ein. Die Erfahrung, dass wir im Rückblick feststellen müssen, dass viele der guten Vorsätze auch im letzten Jahr gescheitert sind, darf uns nicht entmutigen mit dem Ernst zu machen, was die Schrift Umkehr nennt. Umkehr und Neubeginn. Wir feiern heute – oberflächlich betrachtet - die Jahreswende, Silvester und Neujahr. Von der Liturgie her betrachtet feiern wir aber den Oktavtag von Weihnachten, das Hochfest der Gottesmutter Maria. Im Zentrum steht noch einmal das Weihnachtsgeschehen, die Krippe und die Hirten, die sich auf den Weg gemacht haben um die Neuheit des Jahres zu bestaunen und anzubeten: Der menschgewordene Gottessohn. Was kann uns dieses kurze Evangelium für 2022 mit auf den Weg geben?

1. Maria aber bewahrte all diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.
Maßstab unseres Lebens, Grundlage unserer Hoffnung, Leitlinie unseres Handelns sind nicht in erster Linie irgendwelche Zukunftsprognosen oder wissenschaftliche Erkenntnisse – sondern das Wort der Heiligen Schrift, das Wort Gottes. Dieses bewirkt in uns nicht Trägheit sondern eine unaufgeregte innere Ruhe und Gelassenheit. Worte, die aus der Tiefe kommen, die von dem kommen, der seit Ewigkeit ist und in Ewigkeit sein wird dürften mehr Gewicht haben, als Forschungsergebnisse, Studien und Gegenstudien deren Wahrheitsgehalt lediglich relativ ist und nur solange Geltung besitzt, bis sie vom nächsten Forschungsbericht korrigiert werden. Um es schlicht zu sagen: Lass dich nicht verrückt machen durch ständig neue Erkenntnisse, sondern vertrau einfach auch ein wenig auf das, was über Jahrhunderte Bestand hatte und so vielen Menschen in der Geschichte Halt gegeben hat. Und vielleicht sind manche Maßstäbe, die die Kirche lehrt und immer gelehrt hat, gar nicht so verkehrt – angefangen bei den zehn Geboten, über den Wert der Familie, dem Grundvertrauen in Gottes Zusage bis hin zum Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Täglich beten, vor allem aber in der Schrift lesen und Gottes Wort meditieren, das könnte einen guten, soliden und erfolgversprechenden Neuanfang begründen.

2. Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war.
Da ist zunächst der Lobpreis Gottes, das Gotteslob – das wir hier jeden Sonntag gemeinsam in der Kirche feiern, woran wir auch in 2022 festhalten sollten.
Da ist die Dankbarkeit, die Hirten erfüllt – auch das dürfte etwas sein, was wir uns nicht abgewöhnen sollten, bei allem Klagen und Jammern auf immer noch sehr hohem Niveau.
Und da ist vor allem das, was zwischen den Zeilen steht: Sie kehren verändert in ihren Alltag zurück. Sie kehren nicht zurück in ihr altes Leben. Sie sagen nicht, war ganz ok bei den Leuten da im Stall, Josef und Maria waren ganz nett, das Baby ganz hübsch. Nein, ihr Herz ist erfüllt mit einem lebendigen Glauben: der Messias ist geboren und mit ihm wird sich alles ändern – mit unserem Leben, mit unserem Volk, mit der Welt, mit ihm beginnt etwas Neues!
Schaffen wir es, dass uns das Weihnachtsgeheimnis so erfüllt und bewegt, dass wir im neuen Jahr verändert, zuversichtlicher, glaubender, hoffender unsere Wege gehen – dass wir es versuchen, auch wenn wir wissen, dass die Wirkung wie in jedem Jahr irgendwann nachlassen wird. Wir sollten dem Ereignis der Menschwerdung wenigstens eine Chance in unserem Leben geben, einen Raum und Gott vertrauen, dass er uns beisteht auf unseren neuen Wegen!
Wenn ich noch einmal am Gedanken des 2. Feiertages anknüpfen darf: Die Heilige Familie war aufgrund der Verfolgung durch Herodes gezwungen, nach Ägypten zu fliehen. Was für die Familie zunächst Unannehmlichkeiten, Gefahr und Unsicherheit bedeutete, entpuppte sich im Nachhinein als Glücksfall für sie und viele Menschen, denen sie begegneten. Wenn über dem neuen Jahr auch schon wieder die Botschaften der Unheilspropheten neuer Coronavarianten ausgerufen werden, so haben wir auch hier die Chance danach zu fragen, was kann darin auch an Gutem liegen? Abgesehen von der Abschwächung der Wirkung... Schenkt uns diese nannehmlichkeit, diese Störung unseres gewohnten früheren Lebens nicht auch Möglichkeiten, etwa zu ändern, im guten Sinne? Und dürfen wir nicht auch hier gespannt sein, welche neue Erfahrungen uns vielleicht geschenkt werden? Denn das glauben wir ja, dass auch das Jahr 2022 unter dem Segen und der Fügung Gottes steht.

Amen.